05.08.18 - Der Höllenzug


Jetzt - mit ein paar Tagen Abstand - wirkt die konfuse Reise mit dem Autozug von "Train4you - Urlaubsexpress" schon nicht mehr ganz so dramatisch und rückblickend fast wie ein großes Abenteuer. 

So empfanden wir das allerdings am Samstag Abend in dem Zug noch nicht. Denn tatsächlich ging auf dieser Fahrt so ziemlich alles schief, was schief gehen kann. Nur eines klappte: Der Zug kam tatsächlich am nächsten Morgen in Düsseldorf an. Was angesichts der Aussagen der Zugbegleiter ("zu wenig Diesel") und der Bemerkungen erfahrener Autozugreisender (Ja, tatsächlich: die gibt es. Es gibt Leute, die wagen solche Fahrten mehr als einmal), alles andere als sicher war.

Wider erwarten verlief der Einstieg in dieses Abenteuer mit Anfahrt, Verladung und Einstieg überraschend gut. Die Verladung begann ca. 1/2 Stunde nach dem geplanten Beginn und war zackig über die Bühne. Eine angenehme Überraschung, da die Blog-Beiträge auch hier von "Stunden" sprachen. 

Unschön waren andere Begleitumstände. Zum Beispiel bei einem älteren irischen Ehepaar. Der Ehemann war  gehbehindert und ihnen wollte oder konnte bei der Verladung und der Zugbesteigung nicht geholfen werden. Obwohl sie das nach eigener Aussage dazu gebucht hatten. 
Im Vergleich dazu konnte man den fast "archaisch" anmutenden Checkin-Bereich schon wieder als amüsant bezeichnen.

Auf Bahnsteig 1 (immer noch bei über 35 Grad Hitze) mussten wir dann auf den umrangierten Zug warten. Erst werden die Wagen mit den aufgeladenen PKW's herausgezogen, dann an die Personenwagen gekoppelt und dann das Ganze auf Gleis 1 geschoben. Der Vorteil dabei: mit den PKW-Transportwagons vorne, hat man es dann am Zielbahnhof leichter (da muss dann nur die Lok vorne verschwinden). Mit knapp 20 Minuten Verspätung ging es aber um knapp halb acht am Abend dann doch los. 

Und das war für uns zunächst eine Überraschung, da die Blog-Einträge dies eher als Ausnahme bezeichneten.  


Auf dem Autozug

Interessante Erfahrung - noch nie gemacht

Autoverladung Verona

Aber dann fing das Chaos an.


44 Grad

Im Zug fiel uns zunächst die enorme Temperatur auf. Na gut, kein Wunder. Der Personenwagen stand seit dem frühen Morgen in der prallen Sonne, ohne Triebwagen, der die Wagons mit Energie versorgen konnte.
Das wird schon noch besser werden, wenn erst mal die Lok losfährt. Dachten wir. War aber nicht so. 

Die Grundtemperatur von knapp 44 Grad blieb die ganze Fahrt über erhalten. 

Auf Rückfrage beim Zugchef  - ein recht sympatisch wirkender junger Mann namens Jovis de Mol - kam es zu eher widersprüchlichen Aussagen. Zunächst einmal hätte man zuwenig Diesel mit dabei, um Wagen 224 und den Speisewagen mit Energie zu versorgen (Oho - das heißt wohl, dass das Abendessen auch ausfällt?). Um überhaupt noch nach Düsseldorf zu kommen, müssen der Dieselverbrauch reduziert werden. Ach was? Ich dachte, wir fahren mit Strom. Aber was verstehe ich schon von Zügen! Dann hieß es, der Wagen 224 sei schon seit Anfahrt am Morgen hinüber. Eine Verbesserung der Atmosphäre sei daher nicht zu erwarten. Aber man könne ja Fenster öffnen. Welche Fenster? Das sind kleine Klappen oben am Fenster, die man nach innen klappen kann. Die aber bei jedem vorbeifahrenden Zug durch Unterdruck wieder zuklappen und nur zu einer minimalen Luftverbesserung beitragen. Von dem Lärm, den man damit im Abteil hat, ganz zu schweigen. Denn allein unser Wagon ist aus dem Jahr 1980 und erzeugt durch quietschende Kupplungen und kreischende und klemmende Bremsen ein permanemtes Höllenkonzert.

Beste Voraussetzungen also für ein "erholsame Nacht", von der die sehr bunt aufgemachte Seite von "Train4you" so vollmundig spricht.

Lärm und Hitze (auf dem Bild nicht abbildbar)



Da war der Umstand, das wir kein Licht in unserem Abteil hatten, fast ohne Belang.

De Mol: "Guten Abend. Ich möchte Sie kurz über die Sicherheitvorgaben informieren..."
Wir: "WAAAS ist los? Wir verstehen Sie nicht".
De Mol: "Es ist recht laut in dem Abteil".
Wir: "Ach was?"

<Fenster zuklapp>

De Mol: "Danke, das ist besser"

<Temperatur in Abteil steigt sofort um drei Grad an>

De Mol: "Zunächst zu den Betten, um die runterzuklappen müssten Sie den Hebel hinten runterdrücken, dazu wäre vielleicht Licht ganz hilfreich. Aber DAS (<stark betont>) müssten Sie dann schon anmachen." 
Wir: "Ach was? - würden wir ja gerne" 
De Mol: "Ähm...können Sie nicht?"
Wir: "Nein" 

<Klick, klick, klick> 

De Mol: "Stimmt - ist kaputt" 
Wir: "Haben Sie eine Taschenlampe für uns?"
De Mol: "Leider nein, die sind schon im Speisewagen im Einsatz".
Wir: <Kicher> "Und jetzt?"
De Mol: "Da kann ich jetzt nichts machen. Ich schicke jemanden rum."
Wir: "Heute noch?"
De Mol: "Ährm.... ja, schon. Sicher....Gute Fahrt.
Wir: "Bei 44 Grad Hitze, Höllenlärm und ohne Licht? Klar, wird sicher eine tolle Fahrt."
De Mol: "Äh. Ja, klar. Ach noch was: Haben Sie zufällig Abendessen gebucht?"
Wir: "Zufällig ja".
De Mol: "Das können wir heute Abend nicht sicherstellen. Frühstück leider morgen auch nicht."
Wir: "Na toll"
De Mol: "Ja .... leider .... aber morgen früh bringen wir Ihnen dafür Kaffee. Mögen Sie Kaffee oder Tee?"
Wir: <Stöhn>
De Mol: "Ja leider....äh... Auch der Speisewagen hat keinen Strom. Wie gesagt, da der Diesel kaputt ist."
Wir: "Was - der Diesel ist jetzt kaputt? Vorhin wollten sie noch Diesel sparen. Was denn nun?"
De Mol: "Ähhh...ja. Sparen und leider auch kaputt. Seit Düsseldorf gestern Abend schon. Die Mitarbeiter in Verona wollten dann aber nicht mehr arbeiten und so konnte nichts....also... der Diesel nicht repariert ... Sie verstehen?"
Wir: "Kein Wort"
De Mol: "Ja...."
Wir: "Noch was - Bekommen sie das mit den Toiletten noch in den Griff?"
De Mol: "Äh....wieso?"
Wir: "Na, werfen sie doch einfach mal einen Blick rein."
De Mol: "Ja, da war jemand drauf, nachdem geputzt wurde. Das darf man eigentlich nicht."
Wir: "Geputzt? - echt jetzt? Nie im Leben. Dann wären ja alle Toiletten in Verona illegal benutzt worden."
De Mol: "In anderen Wagons ist das alles nicht so."
Wir: "Super - können wir umziehen?"
De Mol: "Leider nein, alles ausgebucht".
Wir: <Seufz>
De Mol: "Ja, ich verstehe, das Sie verärgert sind - trotzdem noch gute Fahrt".
Wir: <Doppel-Seufz>

Dialoge, die das Leben schrieb. Und der arme Kerl hatte noch einige Abteile mit demselben Text vor sich.

Allerdings haben wir ihn im Laufe des Abends und am nächsten Tag wiedergesehen. Der Lynchmob hatte sich also nicht formiert. Was vermutlich auch nicht ging, da kaum noch jemand in dem Wagon etwas anhatte und größtenteils an den zu öffnenden Fenstern hing. Unser Abteilnachbar meinte dazu, dass er sich dem verweigert - er möchte "noch etwas Restwürde behalten" - und schwitzte (wie wir) in sein T-Shirt.

Im auch komplett überhitzten Speisewagen ließen wir uns erstmal eine Bescheingung für das ausgefallene Abendessen geben (ist vermutlich nichts wert - aber ein nettes Souvenir) und nachdem ich einfach mal - solange noch Netz in der Nähe ist - eine Mail an "Train4you" geschrieben habe, die mit dem denkwürdigen Satz begann "wenn Sie ernsthaft glauben dass Ihr Saftladen das nächste Jahr noch überstehen wird....", nahmen wir den "Brot-Wurst-Käse-Saft" Ersatz im Speisewagen in Anspruch. Besser als nichts. Aber das hatten wir uns etwas romantischer vorgestellt - so im Stil von "Orient-Express".

Ja, unser Fehler. Zu naiv. Wissen wir. Jetzt.

Speisewagen ohne Speisen

Und auch auf knapp 49 Grad aufgeheizt (aber sehr romantisch mit Taschenlampen ausgeleuchtet - siehe oben links)

Aber Schnittchen gab es 

Der Fairness halber muss man sagen, dass die Leutchen das mit dem Licht noch in den Griff bekamen. Nachdem wir (!) uns den Cheftechniker gekrallt haben, der extrem zielsicher diagnostizierte "Sie haben kein Licht!" (wir arbeiten gerne mit Profis zusammen) und ein paar mal irgendwo gegenschlug, dann energisch nach hinten rannte - wieder zurückkam und .... Licht zauberte. "Und? Was war's?" - "Keine Ahnung - aber jetzt geht's wieder!" 

Stimmt. Man gibt sich ja mit Teilerfolgen zufrieden.

Und auch die Klos verbesserten sich - nachdem die Spülung wieder lief - etwas. Weit entfernt von einem akzeptablen Zustand. Aber was soll man machen? Christina hatte sicherheitshalber etwas Restklopapier gebunkert und verteilte großzügig ihr mitgebrachtes Sagrotan an die umliegenden Abteile (Sie hatte sowas vermutlich geahnt und sich vorbereitet).


Gelebt, geliebt und gestorben wurde hier

Sieht eigentlich gemütlich aus - aber bitte den Boden nicht im Detail betrachten


"Yes we can"
Nun ja. 

Die Nacht war natürlich die Hölle. 

Mörderlärm und temperaturmäßig besser als eine Sauna.

Aber auch das ging vorbei. 

Von der Fahrt selber haben wir nicht viel mitbekommen. Auch wenn wir nicht viel schlafen konnten, sahen wir von der Umgebung nur relativ wenig. Das lag vor allem auch an den recht blinden und schmutzigen Fenstern. Aber das wenige, was wir sahen, ließ uns vermuten, dass die Route durch ziemlich finstere Ecken um die Hauptstrecken herum führte. Dunkle und bewachte Bahnhöfe, auf denen sich trotzdem seltsame Figuren herumtrieben, mysteriös beleuchtete Gebäude und viel Industriebrachen. Alles sehr gruselig. 

Vielleicht aber auch nur durch Sauerstoffmangel bedingte Visionen? Wer weiß...

Aber am Morgen gab es dann wirklich den versprochenen - löslichen - Kaffee. Woher der Strom dafür kam, wollten wir dann eigentlich gar nicht mehr wissen.

Und in Düsseldorf ging dann - überraschend - alles ganz schnell. Wir kamen tatsächlich fast überpünktlich an und kurz nach zehn Uhr waren wir dann wirklich auf dem Weg unserer letzten Etappe (die dann doch wieder 6 Stunden dauerte, wegen diverser Staus unterwegs).


Wahnsinnsfrühstück (kostet dafür aber auch 27 Euro pro Person)

Fast geschafft 



Und unser Fazit?

Das werden wir sicherlich nicht nochmal machen.

Mal abgesehen von den doch sehr extremen Randbedingungen, ist die Aktion deutlich zu teuer und sie bringt kaum Zeitgewinn. Möglicherweise ist es gewinnbringender, wenn man bis Altona fahren kann? Kann sein. Aber es ist ohnehin unklar, ob es Altona nächstes Jahr noch als Verladebahnhof geben wird. 

Also nicht mehr mit uns.

Aber ein interessantes Abenteuer war es schon.

Kommentare